
Die Variantenkonfiguration (VC) ist ein unverzichtbarer Bestandteil für Unternehmen, die komplexe, individuell konfigurierbare Produkte anbieten. SAP bietet hierfür zwei Konfigurationslösungen: das klassische LO-VC und die moderne SAP Advanced Variant Configuration (AVC). Während LO-VC seit Jahrzehnten im Einsatz ist, bringt AVC zahlreiche Neuerungen, insbesondere im Hinblick auf die SAP Cloud-Strategie und die modernen Modellierungsmöglichkeiten. In diesem Blogartikel beleuchte ich die Unterschiede der beiden Variantenkonfigurationslösungen, speziell hinsichtlich der allgemeinen Cloud-Strategie von SAP, den Änderungen im Beziehungswissen, den Verbesserungen in der Modellierungsumgebung für Variantenkonfiguration (PMEVC) und des Designs der Konfigurationsoberfläche.
Die Cloud-Strategie der SAP
Die Digitalisierung und Cloud-Transformation ist ein Kernelement der SAP-Strategie, um Unternehmen zukunftssicher zu machen. In diesem Kontext spielt SAP Advanced Variant Configuration (AVC) eine entscheidende Rolle, da die Lösung gezielt für die Cloud optimiert wurde. Während SAP LO-VC traditionell in On-Premises-Systemen verankert ist, ist SAP AVC speziell für SAP S/4HANA Cloud entwickelt worden und nutzt die moderne In-Memory-Datenbanktechnologie optimal aus. Dies bedeutet für Unternehmen, die auf SAP S/4HANA Cloud setzen, dass SAP AVC eine leistungsfähige und skalierbare Lösung für die Variantenkonfiguration darstellt.
Dabei ist zu beachten, dass für SAP S/4HANA Public Cloud nur die SAP AVC-Lösung erhältlich ist. Für On-Premises-Systeme sowie SAP S/4HANA Private Cloud stehen beide Variantenkonfigurationslösungen zur Verfügung. Hier haben wir also die Wahl zwischen LO-VC und SAP AVC.
Im Weiteren möchte ich kurz auf einige Key Features von SAP Advanced Variant Configuration (AVC) eingehen:
- Skalierbarkeit und Flexibilität: SAP AVC ist auf eine dynamische Skalierung ausgelegt und ermöglicht eine nahtlose Integration in hybride und Cloud-Umgebungen. Damit passt SAP AVC perfekt zur Cloud-Strategie, die SAP mit SAP S/4HANA verfolgt, und unterstützt Unternehmen bei der flexiblen Nutzung und dem schnellen Rollout neuer Funktionen.
- Optimierung für SAP Fiori: SAP AVC wurde mit Blick auf die Benutzerfreundlichkeit und Integration in die SAP Fiori-Umgebung entwickelt. Mit intuitiven, responsiven Oberflächen und einer verbesserten Benutzerführung hebt sich SAP AVC von LO-VC ab und bietet Anwendern eine modernere, cloudbasierte Konfigurationslösung.
- Regelmäßige Updates und Innovationen: Da SAP AVC auf der SAP Cloud-Plattform basiert, erhalten Kunden regelmäßige Updates und Zugang zu den neuesten Innovationen. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber LO-VC, das als On-Premises-System eine langsamere Update-Frequenz hat.
Prozesse in SAP AVC
Im Hinblick auf die unterstützten Prozesse gibt es wenige Änderungen in der SAP Advanced Variant Configuration (AVC).
Die Prozesse Make-to-Order (MTO), SET-Abwicklung sowie Engineer-to-Order (ETO) sind in SAP AVC enthalten und werden ebenfalls weiterhin in LO-VC unterstützt.
Der Engineer-to-Order-Prozess wird aktuell jedoch nur in der einfachen bzw. simplen Version zur Verfügung gestellt. Dieser beinhaltet aber im Vergleich zu LO-VC jetzt einen Arbeitsvorrat für die technische Nachkonfiguration und einen Status zur Verwaltung der Konfigurationen.
Neu implementiert wurde in SAP AVC die SAP Solution Order. Diese ist nicht in der klassischen LO-VC verfügbar.
Übersicht der SAP AVC-Funktionen und -Prozesse
In diesem Abschnitt möchte ich auf einige Vorteile von Funktionen von SAP AVC gegenüber der klassischen LO-VC eingehen und diese erläutern.
- 1. Bedingtes Abbrechen:
Bedingtes Abbrechen erlaubt es, die Konfiguration abzubrechen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dies kann beispielsweise in Constraints (Einschränkungen) eingesetzt werden.
Beispiel: Wenn die Verkaufsmenge sales_quantity über 100 liegt, wird die Konfiguration abgebrochen und eine Fehlermeldung ausgegeben.
- 2. Benutzerbewertung löschen
Benutzerbewertungen können in der Konfiguration gesetzt und gelöscht werden. Mit der Funktion DELETE_USER_VALUE können diese entfernt werden.
Beispiel: DELETE_USER_VALUE('color');
Dieses Beispiel löscht die Benutzereingabe für das Merkmal color (Farbe).
- 3. Konvertierung
Konvertierungsfunktionen (wie to_string, to_int, to_float) ermöglichen die Umwandlung von Werten in andere Datentypen, z. B. von Zahlen in Strings.
Beispiel: to_string: Konvertiert einen numerischen oder booleschen Wert in einen String.
- 4. Variantentabellen mit Wildcards
Variantentabellen können genutzt werden, um Werte anhand von Bedingungen zu ermitteln. Wildcards (*) können dabei in Tabellen verwendet werden, um „beliebige" Werte zuzulassen.
- 5. Negative Verriegelung mit Tabellen
Negative Verriegelung bedeutet, dass eine bestimmte Konfiguration blockiert wird, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Beispiel: Die Kombination von width = 100, height = 200 sperrt material = 'wood‘.
- 6. Responsive Konfigurationsoberfläche
Die Responsive Konfigurationsoberfläche in SAP AVC bezieht sich auf die Darstellung und Benutzerfreundlichkeit der Konfigurationsoberfläche. Sie passt sich an unterschiedliche Geräte und Bildschirmgrößen an. Hierbei gibt es weniger direkte Programmierbeispiele, da diese eher im Kontext des SAP Fiori Designs und der UI-Adaptivität stehen. Man kann jedoch dafür sorgen, dass logische Gruppen von Merkmalen dynamisch eingeblendet oder versteckt werden, basierend auf der Benutzereingabe.
- 7. Undo-/Redo-Funktionen in der Konfiguration
In SAP AVC kann der Benutzer Änderungen in der Konfiguration rückgängig machen (Undo) oder erneut ausführen (Redo). Dies ist eine Standardfunktion der SAP AVC-Benutzeroberfläche und erfordert keine spezielle Programmierung. Es gibt jedoch die Möglichkeit, die Konfigurationshistorie zu verwalten oder Werte zurückzusetzen, falls dies nötig ist.
- 8. Zugriff auf Bewertung eines mehrwertigen Merkmals (z. B. zur Prüfung IF-Case)
Mehrwertige Merkmale ermöglichen es, mehrere Werte für ein Merkmal auszuwählen. In der Regel wird eine Funktion wie IS_IN verwendet, um zu überprüfen, ob ein bestimmter Wert zugewiesen wurde.
Änderungen im Beziehungswissen
Eine der bedeutendsten Verbesserungen in der Variantenkonfiguration ist die Einführung verbesserter Constraints, die in SAP AVC die Unterstützung spezieller Aufrufe wie *$root*, *$parent* und *$self* ermöglichen. Dadurch wird der OBJECTS-Teil eines Constraints in SAP AVC obsolet. Diese ermöglichen eine flexiblere und detailliertere Modellierung komplexer Abhängigkeiten und Hierarchien.
SAP AVC bietet dagegen nicht mehr die Möglichkeit, Variantenfunktionen zu erstellen. Somit können z. B. Stücklisten keine Prozeduren mit der Syntax FUNCTION oder PFUNCTION nutzen. Dies sollte bei der Umstellung berücksichtigt werden.
Die Eliminierung der alten Syntaxelemente bringt auch eine höhere Performance und Konsistenz in der Anwendung von Beziehungswissen mit sich. In SAP AVC wird durch den Wegfall benutzerdefinierter Funktionen eine stabilere und leistungsfähigere Systemlogik erreicht, was vor allem in hochkomplexen Konfigurationsmodellen wichtig ist.
SAP Fiori-Oberflächendesign und SAP AVC
Im Zuge der Optimierung für die Cloud wurde die Benutzeroberfläche von SAP AVC an den SAP Fiori-Standard angepasst. Neben einer übersichtlicheren Konfigurationsoberfläche (z. B. im Kundenauftrag), wurde die Simulations- und Testumgebung überarbeitet. SAP AVC biete die Möglichkeit, parallel zu der Merkmalsbewertung und der Konfigurationsstruktur/Stückliste das Trace darzustellen. Somit kann die Funktionalität von Beziehungswissen während der Merkmalsausprägung auf einen Blick analysiert werden. Auch Änderungen an bewerteten Merkmalen werden live im Trace angezeigt.
Durch diese Überarbeitung der Konfigurationsmodellsimulierung wird die Anlage, das Testen und die Fehlerbehebung von Konfigurationsmodellen sehr erleichtert.
Alternativ zum Oberflächendesign in der klassischen LO-VC bietet SAP AVC Merkmalsgruppen an. Die aus der LO-VC bekannte Option des Oberflächendesigns ist in SAP AVC hingegen nicht verfügbar. Merkmalsgruppen erhöhen die Benutzerfreundlichkeit und schaffen eine übersichtliche Struktur in komplexen Konfigurationsmodellen. Merkmale können zu logischen Gruppen zusammengefasst werden, wodurch verwandte Eigenschaften eines Produkts gemeinsam angezeigt und bearbeitet werden können.
Innerhalb einer Merkmalsgruppe besteht nun die Möglichkeit, eine Sortierreihenfolge zu hinterlegen. Die Sortierreihenfolge ermöglicht es, die Darstellung der Merkmale in der Benutzeroberfläche (UI) zu steuern.
Zusätzlich kann über UI Control das Aussehen und die Handhabung von Merkmalen auf dem Auswertungsbild gesteuert werden. Dafür ist kein Coding erforderlich und es müssen keine UI-Erweiterungen verwendet werden. Für jedes Merkmal kann unabhängig aus den Optionen Standard, Dropdown, Eingabefeld, Auswahlkopf und Ankreuzfeld ausgewählt werden.
Fazit
Die Entscheidung zwischen SAP LO-VC und SAP AVC hängt von den individuellen Anforderungen und der technologischen Ausrichtung eines Unternehmens ab. Für Unternehmen, die langfristig auf eine Cloud-Lösung setzen und von der Flexibilität und Skalierbarkeit moderner Technologien profitieren möchten, ist SAP AVC die eindeutig bessere Wahl. SAP AVC ermöglicht es, durch eine vereinfachte und modernisierte Modellierungsumgebung sowie durch leistungsstarke Constraints komplexe Abhängigkeiten klarer und flexibler zu gestalten.
Zusammengefasst bietet SAP AVC eine leistungsfähigere, Cloud-optimierte und benutzerfreundlichere Lösung als das klassische LO-VC, was es zu einem zukunftssicheren Werkzeug für Unternehmen macht, die auf SAP setzen. In einer Welt, die zunehmend in die Cloud zieht, ist SAP AVC mit seiner Integration in die SAP Fiori-Oberflächen und seiner Unterstützung für SAP S/4HANA klar die Lösung der Zukunft.